Warum es gilt, (auch) ETFs kritisch zu hinterfragen

„Der Boom bei Indexfonds weckt Erinnerungen daran, was sich auf dem Verbriefungsmarkt vor der Finanzkrise abspielte“, so Mario Draghi. Betrug das weltweite Volumen 2006 noch 0,5 Bio. USD, beträgt es aktuell 2,9 Bio. USD und wird laut einer PWC-Studie bis 2020 auf 5 Bio. USD anwachsen. Gleichzeitig explodiert die Vielfalt der ETFs auf aktuell über 5.400 Stück von 222 Anbietern.

Ein Blick in den Maschinenraum der ETF-Anbieter: die Konstruktion von ETFs

Nach der Art, wie ETFs konstruiert sind, unterscheidet man zwei große Nachbildungsverfahren: die physische Replikation, bei der die im Index enthaltenen Aktien analog ihrer Gewichtung gekauft werden, sowie die synthetische Replikation, die die Indexentwicklung über Derivate abbildet.

Synthetische Replikation

Dabei wird ein Vertrag zwischen dem ETF und einem Finanzinstitut über ein Tauschgeschäft geschlossen, ein so genannter Total-Return-Swap. Gegen eine Gebühr („Swap-Gebühr“) sichert das Finanzinstitut zu, die Indexrendite zu liefern. Was bedeutet das? Die erste überraschende Erkenntnis ist, dass diese ETFs gerade nicht in die im abzubildenden Index enthaltenen Aktien investieren. So findet sich in einem großen ETF auf den S&P500 keine einzige US-Aktie, jedoch eine internationale Auswahl erlesener Unternehmen wie Total, H&M oder Softbank.

Zumindest aus Sicht von Produktwahrheit und -klarheit sind synthetische ETFs also hinterfragenswert. Denn damit hat ein solcher Fonds zwar kein Emittenten- jedoch ein Kontrahentenrisiko. Das heißt: Der Fonds bleibt via Investmentrecht geschütztes Sondervermögen, jedoch kann der Swap-Partner durchaus ausfallen. Immerhin ist dieses Risiko bei UCITS-konformen ETFs auf 10% beschränkt – und doch hat sich das Risiko bereits mehrfach materialisiert.

Warum entwickeln Banken Swap-ETFs?

Will man z.B. den MSCI Welt-Aktienindex abbilden, so wäre natürlich der Kauf von 1.660 Aktien, die der MSCI Welt enthält, sehr aufwändig. Das treibt die Kosten höher, als es für einen ETF „gedacht“ ist. Doch es gibt Swap-ETFs auch auf einfach nachzubildende Indizes wie den DAX. Dafür gibt es Gründe. So kann es sein, dass die die Aktien in ihrem Handelsbuch hat, sie aber abgegeben will. Dann verkauft sie diese an den ETF z.B. als Sicherheit und erhält die Wertentwicklung, insbesondere die Dividenden. Im Gegenzug dafür trägt die Sorge, dass der Anleger exakt die Wertentwicklung des abzubildenden Index erhält.

Je komplexer die Konstruktion des ETFs via Swaps, desto tendenziell illiquider sind die Swaps und desto höher ist das in dem ETF enthaltene Risiko im Falle von z.B. „Lehman-artigen Märkten“. Ferner könnte es bei einem Ausverkauf an den Börsen auch Liquiditätsengpässe für die Sicherheiten selbst geben. Ein weiterer Aspekt: Zwar streuen einige swapbasierte ETFs die Swaps auf mehrere Kontrahenten, doch stehen letztlich nur sehr wenige Kontrahenten als Swap-Partner zur Verfügung.

Ein weiterer Kritikpunkt des Financial Stability Boards im Jahr 2011: Banken könnten illiquide Sicherheiten oder „Schrottpapiere“ in die ETFs packen, um ihre Bilanzen zu bereinigen. Dies ist möglich, da die meisten – in der Regel sogar alle – Geschäfte innerhalb eines Instituts ablaufen, das dann als Indexsponsor, Swap-Berechnungsstelle, Market Maker, Swap-Kontrahent etc. agiert.

Und tatsächlich gibt es einen Verdacht und die amerikanische Börsenaufsicht SEC ermittelt bereits: Ganz konkret geht es darum, dass in manche ETFs toxische Assets eingebracht wurden – so wie vor 2008 bei den Hypothekenpaketen. Hier mangelt es eindeutig an Transparenz, was so lange gut geht, wie diese ETFs Zuflüsse haben (also eben ein Ponzi-Schema).

Physisch replizierende ETFs als Heilsbringer?

Schaut man sich die Gebühren z.B. einer der größten ETFs auf den US-Leitindex S&P500 an, so beträgt laut aktuellem Factsheet die Total Expense Ratio des 13 Milliarden USD schweren Fonds sage und schreibe nur mickrige 0,07%. Wie geht das? Die zentrale Antwort lautet:

Wertpapierleihe

Der Verleiher (z.B. ein ETF) verleiht einem Entleiher (z.B. einer ) ein Wertpapier (z.B. eine Aktie) für einen vorher definierten Zeitraum gegen eine Gebühr, die zwischen 0,1% und bis zu 5% liegen kann. Ein erheblicher Teil der erwirtschafteten Erträge bleibt beim ETF-Anbieter, auch wenn der Trend – durch die ESMA forciert – rückläufig ist.

Und… was im Falle Lehman 2.0?

Das Risiko einer Wertpapierleihe ist zwar nicht sehr groß, wenn auch real. So gab es im Hause des größten ETF-Anbieters bis dato drei Ausfälle von Entleihern. Das freilich unwahrscheinliche, aber größte Risiko (z.B. im Rahmen eines neuerlichen Lehman-Szenarios) besteht darin, dass der Entleiher in Zahlungsschwierigkeiten gerät oder insbesondere pleitegeht und währenddessen die hinterlegten Sicherheiten ohne Möglichkeit der Veräußerung an Wert verlieren.

Wie können ETFs also günstig bleiben?

Die Kehrseite der Anti-Swap-und-Wertpapierleihe-Medaille ist, dass die ETF-Anbieter künftig, um die Kosten in ihren Produkten gering zu halten, in immer stärkeren Maße „aktive“ Elemente nutzen werden wie Derivative, Steueroptimierungen, Cash-Management, Trading rund um die Indexanpassungen und Corporate Actions wie Fusionen, Restrukturierung von Schulden, Zahlungsausfall, Zins- und Dividendenzahlungen. Dies geschieht weitestgehend automatisiert, was im Falle von nicht in Programmen hinterlegten Störungen das Potenzial für elementare Verzerrungen, insbesondere bei Einzelpositionen, impliziert.

Algorithmen und automatisierte Systeme

Im Jahr 2010 gab es einen „Flash Crash“: Der Dow Jones-Index fiel innerhalb weniger Minuten um gut 1.000 Punkte. Im Zuge dessen hatten insbesondere ETFs gelitten. Entsprechend waren 70% aller Wertpapiere, bei denen Transaktionen rückgängig gemacht werden mussten, ETFs.

Am 24. August 2015 kam es anlässlich konjunktureller Sorgen in China an der dortigen Börse sowie in Europa zu Kurseinbrüchen, die zwar groß, jedoch nicht spektakulär, also nicht crash-artig, waren. Dennoch machte die New Yorker Börse an diesem Tag Gebrauch von der sogenannten „Regel 48“, zur Vermeidung „unerwünschter Kursauschläge“. Entsprechend waren kurz nach Handelsbeginn um 9.45 Uhr nur 65% aller Aktien zum Handel frei gegeben. Wie kann dann der Preis eines ETFs festgelegt werden? Denn es handelt sich ja um börsengehandelte Fonds. Die Antwort: Einige (auch prominente) ETFs fielen um 30-40% stärker als ihre zugrundeliegenden Indizes. 19% aller ETFs fielen stärker als 20%. Es gab 1.300 Handelsaussetzungen an dem Tag, davon 78% bei ETFs.

Nicht überraschend warnt das FSB genau vor diesen Risiken: Wenn Investoren in einem Sell-Off in hohem Maße Anteile zurückgeben, die in den ETFs enthaltenen Papiere aber nicht ausreichend liquide sind, könnte es zu Liquiditätsengpässen kommen und dies sich wiederum auf die ETF-Anbieter sowie die Swap-Kontrahenten ausweiten.

Mikroebene

Weitere „Kuriositäten“: Die Spannen zwischen An- und Verkaufskursen der ETFs sind nicht konstant sondern schwanken zum Teil erheblich mit den Marktbedingungen. Ferner weisen ETFs zu Handelsbeginn höhere Spreads auf. Einen gewissen Schutz bietet z.B. das Handelssegment „ETF BestX“ der Börse Stuttgart. Daneben gibt es immer wieder Handelseinschränkungen aufgrund „technischer Probleme“. Selbst der größte ETF-Anbieter schreibt auf seiner Homepage: „Dennoch kommt es regelmäßig vor, dass sich der Preis und der Nettoinventarwert eines ETFs unterscheiden.“

Was also tun?

Nach den oben skizzierten Aspekten stellt sich die Frage: was konkret tun? Welche Produkte sollte man nun wählen? Ist es sinnvoll, einen Branchen-ETF, z.B. auf den EuroStoxx Health Care-Index zu kaufen, wenn dieser Index aus nur 13 Einzeltiteln besteht und das Schwergewicht, Sanofi-Aventis, mit stolzen 54% gewichtet ist? Letztlich muss jede Investmententscheidung zum individuellen Portfolio, Anlegertyp und Risikoprofil passen und im Gesamtkontext bewertet werden. Hilfestellung hierbei können einige Leitplanken (siehe links oben) des NORD/LB Vermögensmanagements bieten.

Alles in allem kann das Fazit für den mündigen Investor in Anlehnung an Albert Einstein auch bei ETFs nur lauten: „Alles sollte so einfach wie möglich gemacht sein, aber nicht einfacher.“ Oder mit Marc Aurel: „Bei jedem einzelnen Ding die Frage, was ist es in sich selbst? Was ist seine Natur?“ Dies gilt auch für die Auswahl von „einfachen“ Investments.

Ein Interview mit Michael Feiten zum Thema ETFs finden Sie zudem auf boerse.ARD.de.

18. Juli 2016

2 thoughts on “Warum es gilt, ETFs kritisch zu hinterfragen”

  1. Privatier sagt:

    Sehr interessant, danke! Das ist mal „Nicht-Mainstream“ und für mich neu.
    Soll man dann ETFs besser ganz aus dem Depot verbannen und doch eher auf aktive Fonds setzen?

  2. Michael Feiten sagt:

    Vielen Dank für Ihr Lob. Nein, in keinem Fall würde ich ETFs per se verteufeln. Doch: speziell wenn sie langfristig, z.B. für die Altersvorsorge, mit Sparplänen agieren: jeden Fonds genau analysieren.

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Leitplanken des NORD/LB Vermögensmanagements zur ETF-Auswahl

  • Nach Anbietern diversifizieren
  • Nur physisch replizierende ETFs (keine Swap-basierten)
  • Wertpapierleihe-Quoten beachten und erfragen
  • Zusammensetzung des Sicherheitskorbs bei Wertpapierleihe erfragen
  • Keine Strategie-ETFs (Smart Beta, Vola etc. etc.)
  • Keine Anleihen-ETFs auf relativ illiquide und / oder kleine Segmente
  • Keine Branchen-ETFs
  • Keine ETFs auf per se illiquide Anlageklassen
  • Keine ETCs etc. (dies sind Inhaberschuldverschreibungen, keine Sondervermögen)
  • Keine Short-ETFs
  • Keine Hebel-ETFs
  • Keine „aktiven“ ETFs
  • Liquidität überprüfen (Geld-Brief-Spannen, XLM, Fondsvolumen)
  • Handelszeiten der Basiswerte berücksichtigen
  • Stoploss-Systematiken prüfen
Autor

Michael Feiten

Michael Feiten ist seit Januar 2014 einer der beiden Lead-Fondsmanager des Konzernflaggschiffs NORD/LB Horizont sowie hauptverantwortlich für das Management der vermögensverwaltenden Fondspalette Nordlux Pro. Seine Schwerpunkte bilden die strategische Allokation und die Ausnutzung von Korrelationseffekten durch unkorrelierte, zuweilen exotischere Anlageklassen sowie die Konzeption neuer Anlagestrategien. Er ist seit 21 Jahren an den Finanzmärkten zu Hause. Vor 16 Jahren gründete er mit weiteren Anlegern einen Investmentclub. Um die Finanzmärkte noch besser zu verstehen, studierte er International Business mit den Schwerpunkten Finanzmärkte und Finanzmanagement. Michael Feiten arbeitet nach verschiedenen Stationen in der Finanzbranche seit zehn Jahren als Senior-Portfoliomanager bei der NORD/LB Vermögensmanagement Luxembourg.
Er ist Dozent an verschiedenen Hochschulen für „Praxis des Portfoliomanagements“ mit den Themenschwerpunkten Fonds- und Portfoliomanagement in der Praxis, Behavioral Finance sowie Kapitalmarkttheorie. Seine Freizeit widmet der dreifache Familienvater seiner Familie, sportlichen Aktivitäten, kleineren Ehrenämtern, seinem Studium der Philosophie sowie Lern- und Gedächtnistechniken.

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