Künstliche Intelligenz auf der Überholspur in der Finanzindustrie

Im Zeitalter der fortlaufenden Digitalisierung bleibt auch die Finanzwelt nicht verschont. Ist der Bankberater ein Auslaufmodell? Übernimmt die künstliche Intelligenz zukünftig die Strukturierung von Finanzprodukten? Im Folgenden gibt Professor Dr. Christian Rieck einen umfassenden Einblick zu den Veränderungen in der Finanzbranche und in seinen Spezialbereich, die Spieltheorie.

Redaktion FondsTrends: Herr Professor Rieck, Sie lehren an der Frankfurt University of Applied Sciences und sind besonders im Studiengang International Finance aktiv. Was fasziniert Sie an diesem Studiengang und wieso sollten Ihre Studenten keine Ihrer Lehrveranstaltungen verpassen?
Christian Rieck: Mich fasziniert an Finance, dass es zum einen sehr zahlenorientiert ist und zum anderen viel Kreativität verlangt. Auch wenn es die meisten Außenstehenden nicht wissen, haben wir ein ähnliches Anforderungsprofil an unsere Studenten wie die Architekten. Es fühlen sich besonders diejenigen bei uns wohl, die gleichzeitig analytisch und künstlerisch begabt sind. Deshalb halte ich fast keine klassischen Vorlesungen mehr, sondern mache bevorzugt Dinge, die man nicht tun könnte, wenn man zu Hause vor seinem Computer sitzen bleiben würde. Das sind zum Beispiel Fallstudien oder Mini-Planspiele, in denen die echte Wirtschaftswelt nachgebildet wird.

Redaktion FondsTrends: Digitalisierung und Finanzen der Zukunft sind Hauptthemen, mit denen Sie sich beschäftigen. Welche Veränderungen sind in diesem Zusammenhang in den kommenden Jahren in der Finanzindustrie zu erwarten und wie sehen die Finanzprodukte der Zukunft aus?
Christian Rieck: Ich gehe erst einmal kurz in den professoralen Besserwissermodus: Finanzindustrie ist ein Übersetzungsfehler des englischen Wortes „financial industry“. Im unterscheiden wir gerade zwischen (fertigender) Industrie und der Finanzbranche, was uns bei Amerikanern viel Kritik einbringt. Womit Finanzbranche die korrekte Übersetzung des Wortes financial industry wäre. Besserwissermodus wieder aus.
Nun zu den Finanzprodukten. Unter der Haube werden sie sicherlich im Wesentlichen gleich bleiben wie heute, aber ihr Erscheinungsbild wird sich komplett ändern. Wo wir heute mit technischen Erscheinungen herumhantieren, werden wir morgen über Nutzen und Wünsche der Anleger sprechen. Bei Autos interessieren wir uns ja immer weniger für die technischen Details und fragen eher danach, wie wir bequem ans Ziel kommen (die Achtzylinder im Autoprospekt sind eher eine Marketingstory, denn wer hat noch einen 8-Zylinder-V-Motor und wer könnte ansatzweise beschreiben, wie er funktioniert?). Zugleich wird ein Großteil dieser Übersetzungsleistung automatisiert erfolgen können, sodass die Finanzbranche immer mehr zu einer Selbstbedienungsbranche wird. Das mag heutigen Finanzberatern unmöglich erscheinen, ich halte es aber für eine fast sichere Entwicklung, dass ein Großteil der bisher durch Menschen erbrachten Beratungsleistung von künstlicher Intelligenz übernommen wird.

Redaktion FondsTrends: Neben den Themen Digitalisierung und Finanzen der Zukunft, sind Sie vor allem bekannt durch Ihre Veröffentlichungen zur Spieltheorie. Dabei überraschen Sie mit interessanten Thesen wie „VW trickst nicht bei den Abgaswerten – sondern baut ein rationales Auto“. In wie fern ist das Auto dabei ein rationaler Spieler?
Christian Rieck: Die gesetzlichen Vorgaben für die Ermittlung der Abgaswerte von Autos entstammen dem Geist des letzten Jahrtausends. Sie definieren einen Testzyklus, in dem das Auto unter vorgegebenen Bedingungen vermessen wird. Heutige Autos besitzen aber eine eigene (künstliche) Intelligenz, die sie erkennen lässt, wann gemessen wird, besonders wenn der Test so holzschnittartig ausfällt wie in diesem Fall. Daher verhalten sich heutige Autos auf dem Prüfstand wie Menschen in einem Bewerbungsgespräch: Sie benehmen sich gut, auch wenn sie normalerweise rüpelhafte Chaoten mit Alkoholproblem sind. Ich habe an dem Beispiel VW zu zeigen versucht, dass wir künstliche Intelligenzen hoffnungslos unterschätzen. Wir müssen uns hier sehr warm anziehen, rechtlich wie emotional.

„Finanzprodukte werden im Wesentlichen gleich bleiben, jedoch wird sich ihr Erscheinungsbild ändern.“

Zitat Prof. Dr. Christian Rieck

Redaktion FondsTrends: Übertragen auf die Finanzindustrie, wer ist dort rationaler Spieler? Sehen Sie hier ähnliche Konstellationen? Welche Spieler/Dienstleistungen werden sich langfristig durchsetzen?
Christian Rieck: In der Finanzbranche gibt es eine ganze Reihe Besonderheiten, die auch der Grund dafür sind, dass hier die Digitalisierung so spät an Fahrt gewonnen hat. Eine Besonderheit besteht darin, dass Finanzprodukte sehr oft sogenannte Erfahrungsgüter sind, also solche, deren Qualität man erst dann erkennen kann, wenn man sich bereits für sie entschieden hat. Daher ist diese Branche besonders betrugsgefährdet. Stellen Sie sich nun vor, wir stehen künstlichen Intelligenzen gegenüber, die die Produkte viel besser verstehen als wir selbst und die im Interesse derer handeln, die sie konstruiert haben. Was übrigens weniger hypothetisch ist, als ich es hier formuliert habe; denn beides ist heute bereits technisch umgesetzt, wenn auch noch nicht sehr weit verbreitet. Das dürfte dann ähnlich ausfallen, wie wenn wir mit Affen handeln würden, denen eine Menge Geldmittel zur Verfügung stehen. Dummerweise sind nun wir die Affen. (Dieses Affen-Beispiel stammt übrigens nicht von mir, sondern von den beiden Nobelpreisträgern Akerlof und Shiller, die es allerdings in einem anderen Zusammenhang verwenden.) Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass viele der neuen Entwicklungen nicht zum Vorteil der Anleger sind. Die gute Nachricht ist aber: Wahrscheinlich merken wir das gar nicht und freuen uns über die schönen Angebote. So wie sich die Affen auch über einen reichen Nachschub an schön ungesunden Marshmallows freuen könnten, wenn sie mit uns Geschäfte machten.

Redaktion FondsTrends: In Ihrem Buch „Können Roboter mit Geld umgehen?“ stellen Sie einen Vergleich zwischen menschlichen Beratern und Robotern (also künstlichen Intelligenzen) an. Könnten Sie für uns diesen Vergleich auf Fondsmanager und künstliche Intelligenzen übertragen?
Christian Rieck: Allerdings. Ich zeige in meinem Buch, dass die künstlichen Intelligenzen in dem Bereich der Finanzberatung eigentlich schon fast alles so gut können wie Menschen. Es ist nur noch ziemlich wenig davon für die Massenmärkte umgesetzt. Beim Fondsmanagement ist das von den technischen Möglichkeiten her ähnlich, aber dieses Segment ist bei der praktischen Umsetzung schon viel weiter. Portfoliotheorie ist eine Theorie wie geschaffen für Computer. Daher haben unsere digitalen Freunde bei der Portfoliobildung schon jetzt ziemlich das Sagen. Die Menschen sind eigentlich nur noch das „Frontend“.

Redaktion FondsTrends: Ihrer Ansicht nach schwindet durch die Digitalisierung (und dem damit verbundenem einfachen Zugang zu intelligenten Algorithmen) der Vorsprung der Profis – in unserem Fall die Fondsmanager – zu den Anlegern. Was können Fondsmanager tun, um die Entwicklung der Finanzindustrie für sich zu nutzen?
Christian Rieck: Hierfür muss ich in die Trickkiste der Spieltheorie greifen. Eigentlich sind Märkte so aufgebaut, dass sie die Marktteilnehmer in maximale Konkurrenz zueinander setzen und so fast alle Gewinne verhindern. Das ist aber nur ein mögliches Gleichgewicht. Ein anderes besteht darin, dass einige Marktteilnehmer eine Reputation für ein bestimmtes Verhalten aufbauen, das die anderen davon abschreckt, (Über-)Gewinne überhaupt anzustreben. Anschaulich ist das wie bei Tieren, die sich an die Reviergrenzen des anderen halten, auch wenn sie eigentlich körperlich mindestens gleich stark sind. Wenn nun einige Anleger das Verhalten zu ihrem Revier machen, bei dem sie höhere Gewinne machen und die anderen sich mit weniger zufrieden geben müssen, dann kann es eine kleinere Zahl von Profis geben, die besser abschneiden als der Markt.

Redaktion FondsTrends: Wie sollten zukünftig Initiatoren Ihre Produkte strukturieren, um sie erfolgreich am Finanzmarkt zu platzieren?
Christian Rieck: Ich könnte mir vorstellen, dass wir das gar nicht mehr selber machen müssen, sondern sich eine künstliche Intelligenz damit beschäftigt. Und vermutlich mit sehr, sehr guten Lösungen herauskommt. Vielleicht mit ein wenig zu guten Lösungen, wenn wir die Interessen der Kunden im Auge behalten. Ich gebe hier aber mal lieber keine weiteren Tipps…

Redaktion FondsTrends: Um in Ihren Worten „eine gegen den Strich gebürstete Fragestellung“ zu formulieren: Besteht nicht die Gefahr der Übersättigung der Informationswelt durch Digitalisierung? Könnte eine Gegenbewegung dazu führen, dass die Aspekte Einfachheit und Verständlichkeit wieder in den Vordergrund rücken und damit sogar das gute alte Sparbuch wieder attraktiv werden lassen?
Christian Rieck: Ich fürchte, diese Frage träumt ein wenig von der guten alten Zeit. Stellen Sie sich bitte einmal kurz einen wundervollen Apfelkuchen „aus Omas Zeiten“ vor. Können Sie sich den wundervoll vollen und authentischen Geschmack der Äpfel ausmalen, die per Hand aufgelesen und verarbeitet wurden? Welche Chance sollte ein industriell gefertigter Tiefkühlkuchen dagegen haben, mit seinem faden Abklatsch? Eigentlich keine – außer dass der Tiefkühlkuchen sofort verfügbar ist und mit viel Forschungsaufwand so designed wurde, dass er nicht nur exzellent zu schmecken scheint sogar durch das Essen immer mehr Verlangen danach auslöst. So wird es uns auch in der Finanzwelt gehen. Vielleicht bleibt der gute alte Bankberater sogar eine romantische Erinnerung wie der Tante-Emma-Laden. Aber unseren Apfelkuchen kaufen wir im Supermarkt, und zwar den für unseren Geschmack und unsere Lebensgewohnheiten optimierten.
Aber vielleicht entsteht tatsächlich zeitgleich und als Gegenbewegung eine Art Kunstform des Investierens. Zahlenmäßig wird das sicherlich weniger sein, aber umsatzmäßig vielleicht dennoch viel, weil es von den vermögenderen Anlegern ausgeht. Investieren als kunstvolle Freizeitbeschäftigung würde mich besonders freuen, weil wir damit auf den Beginn unseres Gesprächs zurückkommen: die Verbindung aus Analytik und Kunst. Vielleicht finden wir ja sogar eine/n meiner StudentInnen an der Spitze dieser Bewegung. Meine Unterstützung hätten sie.

1. März 2016

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Zusammengefasst
  • Nutzen und Wünsche der Anleger stehen im Fokus
  • Künstliche Intelligenz in der Finanzwelt als wesentlicher Bestandteil
  • Der Vorsprung des Beraters zur künstlichen Intelligenz schwindet
Thema

Digitalisierung und Finanzen

Die fortlaufende Digitalisierung in der Finanzwelt ist nicht mehr wegzudenken. Hierbei ist es umso wichtiger, dass sich die Finanzbranche optimal aufstellt und die Institute ihre Produkte sowie Prozesse dahingehend an die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden anpassen. Das tagesaktuelle Echtzeit-Reporting in der Fondsindustrie ist nur eines von zahlreichen Beispielen hierfür.

Autor

Prof. Dr. Christian Rieck

Christian Rieck

Christian Rieck ist Professor für Finance an der Frankfurt University of Applied Sciences und durch zahlreiche Veröffentlichungen zu Spieltheorie und Finanzen bekannt. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften war er an der Neuausrichtung des Centers for Financial Studies beteiligt und leitete danach bei IBM Global Services das internationale Competence-Center für Lösungen in der Finanzbranche. Er forscht zur digitalen Transformation von Wertschöpfungsketten und untersucht, wie sich soziale Medien und künstliche Intelligenz auf die Zukunft der Finanzbranche auswirken. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf das strategische Zusammen-Spiel zwischen Menschen und künstlicher Intelligenz.

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