Deutschland sucht die Zinsuntergrenze oder Über das Handeln von Hausnummern

Es war am Anfang der 2000er Jahre im Office einer aufstrebenden ABS-Schmiede (Asset Backed Securities). Endlich angekommen in der coolsten Branche der Welt noch dazu in einem der innovativsten Bereiche, wo‘s wirklich noch Geld zu verdienen gab. Hurra! Wir waren damals unzerstörbar und fraglos an der Spitze der Nahrungskette. Es wurden CDOs bewertet, erwartete Ausfallswahrscheinlichkeiten berechnet, Pitch Books studiert und mit der ganzen weiten Welt des Investmentbanking konferiert. Es gab nur eine Richtung: aufwärts!

Da saßen wir also, ich, der Junior, mit den Seniors und haben unter anderem über das Kurspotential des deutschen Bund-Futures diskutiert. Das Ergebnis war – zumindest soweit ich mich dran erinnern kann: Bei 112,50 spätestens ist endgültig wirklich Schluss. Nun, wie sich später herausstellte, sollte das nicht die einzige Fehleinschätzung der damaligen Zeit sein.

Heute, 17 Jahre später, steht der Bund bei rund 178, die zehnjährige Rendite hat sich von ca. 4,5% auf -0,62% verabschiedet. Wir, die wir uns auf den Märkten bewegen, wissen natürlich, dass der Fair Value – egal bei welchem Asset – etwas ist, dass es zwar theoretisch gibt, das aber in der Realität höchstens dann gestreift wird, wenn sich der Preis einer Anlage am Weg von höheren zu tieferen (oder umgekehrt) daran vorbei bewegt.

Eine weitere unangenehme Wahrheit ist, und die Legionen von Analysten da draußen mögen mir verzeihen, dass man zwar – mit unterschiedlichen Komplexitätsgraden – alles ausrechnen kann, aber es dann tatsächlich erstens meistens anders kommt und zweitens als man denkt.

So viel zu den Grundlagen der Finanzindustrie! 😉 Aber Akkuratesse von Bewertungen hin oder her, ein fundamentaler Grundsatz jeglicher Investitionsentscheidung war und sollte es meiner Ansicht nach sein, dass Risiko etwas ist, wofür man theoretisch belohnt werden sollte, das heißt, dass Risiko – fair oder nicht – bepreist sein sollte.

Analysieren wir jetzt unter dieser Prämisse den Anleihenmarkt an einem empirischen Beispiel, nämlich der kürzlich emittierten 30-jährigen deutschen Bundesanleihe, mit einem Coupon von 0 und einem Emissionspreis über par, also einem nominellen negativen Ertragserwartungswert, dann bleibt uns, außer uns etwas verwirrt den Kopf zu kratzen, nicht viel übrig.

Tatsächlich finden sich, abgesehen von den ökonomischen, die aber auch nicht wirklich sinnvoller sind, zwei Interpretationsmöglichkeiten. Nämlich, erstens: Das Risiko irgendwelche anderen Assets mit einer ähnlichen Liquiditätsstruktur ist so groß, dass ich lieber eine gewisse Cost-of-Carry in Kauf nehme, dafür, dass mir der deutsche Staat in dreißig Jahren meine Investition nominell zu 100% zurückzahlt. Das kann natürlich nur ein Geschäft sein, wenn wir in ein massiv deflationäres Umfeld hineinschlittern und zwar nicht in eines der offiziellen Inflationszahlen, sondern in eines, wo der tatsächliche Warenkorb für Frau und Herrn Mustermann tatsächlich nominell billiger wird.

Die zweite, nicht minder erschreckende ist, dass es am kurzen Ende zu weiteren Abwärtsbewegungen kommt und das Halten von Cash auch längerfristig wirklich teuer wird. Da werden sich dann natürlich weder die deutschen, noch die österreichischen Sparer und zukünftigen Pensionisten freuen.

Hier wird es dann insofern richtig spannend, weil wir uns langsam, aber sicher darüber Gedanken machen müssen, ob es für negative Zinsen ökonomisch überhaupt so etwas wie einen fairen Wert geben kann, oder ob wir, wie man den Eindruck bekommen könnte, sowieso nur mehr Hausnummern handeln. Das wiederum würde heuer auch das positive Abschneiden der diversen Algorithmen erklären, die ja bekanntlich inhalts-agnostisch sind…

Gehen wir davon aus, dass in unserer Welt Zinsen etwas sind, das man dafür bekommt, etwas zu verleihen, das man selbst hat, der Leihende aber nicht.  Konsequenterweise müssten negative Zinsen dann bedeuten, dass ich etwas habe, nämlich Liquidität, mit der ich wirklich nichts anzufangen weiß und die auch kein anderer will, weshalb ich für die Aufbewahrung in einem vermeintlich sicheren Gefäß eine Lagergebühr zahlen muss.

Wenn dem tatsächlich so ist, dann ist die ganze Geschichte ziemlich kaputt – um hier nicht irgendwelche Kraftausdrücke verwenden zu müssen 😉 -, produziert doch die Zentralbank fortwährend ein offensichtlich nicht knappes Gut, das keiner will. Man könnte den Eindruck bekommen, die Zentralbanken fischen vollkommen im Trüben.

Wie man die Angelegenheit auch dreht und wendet: zu einer positiven Interpretation zu kommen fällt wahrscheinlich auch den größten Optimisten nicht ganz leicht. Selbst die Aktienmärkte, denen ich ja grundsätzlich eine gewisse Affinität zum Handeln von Hausnummern 😉 attestieren würde, werden sich irgendwann schwer tun den Preis eines Assets (des Unternehmens) mit einem anderen Asset (Cash) auszudrücken, dessen Wert unbestimmbar ist.

02. September 2019

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Negativzinsen

Wie negativ können Zinsen eigentlich werden und machen negative Zinsen eigentlich Sinn – das sind wohl die zu klären schwierigsten und wichtigsten Fragen unserer Zeit, die jeden Anleger bewegen sollten. Leider scheint aber bis dato niemandem etwas Überzeugendes dazu einzufallen. Uns auch nicht, aber vielleicht stellen wir alle nur nicht die richtigen Fragen:

  • Woher kommen wir & wo hingehen wir (in Bezug auf das Zinsniveau)?
  • Machen negative Zinsen Sinn?
  • Ist Geld als Bewertungsinstrument in einem negativen Zinsumfeld aussagekräftig?
Autor

Florian Gröschl

Florian Gröschl ist geschäftsführender Gesellschafter des österreichischen Third-Party Marketers Absolute Return Consulting GmbH und Fondsmanager des Fund of Alt. UCITS mahi546. Bevor er 2011 zu ARC kam, war er bei der damaligen Bawag PSK Invest GmbH und der LGT Bank (Österreich) AG als Portfoliomanager im Bereich Absolute Return und Fixed Income tätig. Er verfügt über einen Abschluss der Wirtschaftsuniversität Wien und ist seit 2005 Certified Portfolio Manager.

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