Die Ruhe vor dem Brexit-Sturm

Die Unruhe in der britischen Investmentbranche wächst: Angesichts eines drohenden „No Deal“-Szenarios halten Spekulationen an, wie hoch die Asset-Abflüsse durch den Brexit ausfallen, welche Firmen Großbritannien verlassen und wie viele Mitarbeiter sie mitnehmen werden. Medien, Investmentmanager und Dachverbände fühlen seit dem Brexit-Votum den Puls der Branche. Sie prophezeien: Besonders hart wird es kleine Investmenthäuser ohne EU-Präsenz treffen.

Die deutsche Fondsbranche gibt sich trotz des drohenden „No Deal“-Brexits – also einem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Vereinbarung über die künftigen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen Großbritanniens zur EU – betont gelassen. Laut einer Umfrage des Dachverbandes BVI fühlen sich drei Viertel der deutschen Gesellschaften von einem ungeordneten Brexit ohne Übergangsfrist „überhaupt nicht“ oder nur „wenig“ betroffen. Schließlich hielten Portfoliomanager aus dem Vereinigten Königreich (United Kingdom, UK) auch nur sieben Prozent des Spezialfonds- und drei Prozent des Publikumsfondsvermögens in Deutschland.[1]

In Großbritannien steigt, wenige Tage vor dem (bislang noch) offiziellen Austrittsdatum am 29. März 2019, die Unruhe dafür umso mehr. Das liegt zum einen an der britischen Wahrnehmung, wie bedeutend die eigene Fondsbranche ist: Nach Angaben der Investment Association verwalteten ihre 240 Mitgliedsunternehmen zum Ende 2017 mehr als 7,7 Billionen GBP im Vereinigten Königreich, und 1,8 Billionen GBP werden für europäische Kunden gemanagt. Insgesamt entspreche das 35 Prozent der gesamten Assets in Europa.[2]

Zum anderen fürchtet sich die Finanzbranche davor, dass der Brexit einen Exodus in- und ausländischer Asset Manager in nicht gekanntem Ausmaße mit sich bringen wird. Das, so heißt es  nicht nur in den britischen Medien, würde den Abfluss von (dreistelligen) Milliardenbeträgen an Kundenvermögen, den Abzug Dutzender Investmenthäuser sowie den Abbau von mehr als 10.000 Arbeitsplätzen mit sich bringen.

Zwei Drittel der UK-Manager sehen Brexit als Wettbewerbsnachteil

Die Furcht ist begründet: In einer Befragung des CFA-Instituts, des weltweiten Verbandes der Investment Professionals, im März 2018 sagten 68 Prozent der in UK ansässigen Investmentfirmen, das Brexit-Votum habe der britischen Wettbewerbsfähigkeit bereits geschadet.[3]

Bislang profitieren die Asset Manager, wie andere Finanzdienstleister auch, von den EU-Passporting-Rechten, die bei einem „No Deal“ gefährdet sind (s. hierzu auch den Beitrag von Olivier Carré, PwC, auf FondsTrends).[4] Derzeit nutzen 244 britische Asset Manager das Passporting, um ihre Produkte in Europa ohne Hürden anzubieten. Im Gegenzug haben 139 EU-Mitgliedsunternehmen einen „Inbound Passport“ für den Vertrieb in Großbritannien.[5] Dass britische Finanzmarktteilnehmer bei einem „No Deal“-Szenario wirklich den Zugang zum EU-Markt verlieren würden, hatte der Chef der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA, Steven Maijoor, erst kürzlich in Dublin unmissverständlich klar gemacht.[6]

67 Prozent der britischen CFA-Mitgliedsfirmen gehen davon aus, dass sie wegen des Brexits ihre Präsenz im Vereinigten Königreich reduzieren werden – von den Unternehmen aus der gesamten EU (ohne UK) äußerten das in der Umfrage sogar 76 Prozent. Als größten Verlierer eines Brexits ohne Vereinbarung sehen über vier Fünftel (85 Prozent) den Finanzplatz London. Als Brexit-Gewinner hingegen gelten Frankfurt, Paris, Dublin, Luxemburg und Amsterdam.[7]

Ein Umzug der Finanzdienstleister im großen Stil würde empfindliche Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte in London, Edinburgh oder Bristol haben. Immerhin stammen zehn Prozent der rund 94.000 Beschäftigten in der britischen Fondsbranche aus Europa.[8] Wie kommt es also, dass trotz des Damoklesschwerts Brexit bislang viel weniger Arbeitsplätze ins Ausland verlagert worden sind, als noch vor zwei Jahren befürchtet?

„Gerade kleine britische Asset Manager ohne internationale Präsenz sollten signalisieren: ‚We‘re still open for business!‘“

Wann kommen die Umzugswagen?

Damals, im März 2017, kaum neun Monate nach dem Referendum, hatten die Vertreter von Banken, Versicherern und Fondsgesellschaften mit dem Abzug von bis zu 10.000 Jobs, vorrangig aus London, gedroht (s. Infografik 1). Doch laut einer wiederkehrenden Untersuchung der Nachrichtenagentur Reuters sind brexitbedingt bis dato weniger als 2.000 Stellen aus Großbritannien verlagert worden (s. Infografik 2).[9]

Verfolgt man die britische Presse, dann sind die Gründe für dieses Zögern nicht eindeutig. Liegt es daran, dass die Austrittsverhandlungen auch fast drei Jahre nach dem Referendum noch immer keinen Aufschluss darüber geben, wohin die Reise gehen wird? Scheuen sich CEOs und ihre Vorstandskollegen davor, eine folgenschwere, teure Entscheidung zu treffen? Oder fällt es vielen Asset Managern und Bankern schwer, ihren Familien einen Umzug nach Frankfurt, Paris oder Amsterdam schmackhaft zu machen? Manche Institute sind angeblich bereits dazu übergegangen, ihren Mitarbeitern großzügige Kompensationen anzubieten, wenn sie in einen EU-Staat wechseln.[10]

Die Ruhe vor dem Sturm darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem die großen Institute ihre Notfallpläne abgeschlossen, Büros in EU-Staaten angemietet und die notwendigen Genehmigungen bei den dortigen Aufsichtsbehörden beantragt haben. So wollen nach Informationen der Financial Times die britischen Asset Manager Columbia Threadneedle, Janus Henderson, Jupiter Asset Management und M&G ihre Niederlassungen in Luxemburg auf- oder ausbauen.[11] Die Central Bank of Ireland hatte Ende Januar mehr als 100 Anträge umzugswilliger britischer Finanzinstitute vorliegen.[12]

Infografik 1: Noch im März 2017 drohten 10.000 Jobs der britischen Finanzindustrie verlagert zu werden; Quelle: Gerle Financial Communications

Infografik 2: Laut der Nachrichtenagentur Reuters sind hingegen bis März 2019 weniger als 2.000 Stellen wegen des drohenden Brexit verlagert worden; Quelle: Gerle Financial Communications

 

Kunden, Assets und der gute Ruf stehen auf dem Spiel

Besonders hart treffen würde ein „No Deal“-Brexit vor allem britische Investmentboutiquen und spezialisierte Asset Manager, die zwar Kunden auf dem europäischen Festland haben, dort aber bislang noch keine eigene Niederlassung betreiben.

Für manche dieser Spezialisten ist ein Umzug zu teuer oder zu aufwändig. Andere fürchten den administrativen Aufwand, der mit Zulassung und Vertrieb ihrer Produkte als UCITS-Fonds verbunden ist. Und der eine oder andere hofft wohl immer noch, mit einem blauen Brexit-Auge davonzukommen. Doch ein solches Aussitzen kann kleinere Unternehmen viel teurer kommen – für sie stehen Kunden, Assets und ihr guter Ruf auf dem Spiel.

Eine aktive Herangehensweise, die auch professionelle Hilfe beim Vertrieb in der EU nicht ausschließt, sowie offene und ehrliche Kommunikation sollten spätestens in dieser kritischen Phase der Brexit-Verhandlungen Vorrang haben. Letztendlich geht es besonders für kleinere UK-Manager darum, ihren Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern trotz Brexit zu signalisieren: „We’re still open for business!“

[1] Quelle: Artikel dpn, 18. Feb. 2019: „Keine Angst vorm Brexit“, 4. Absatz nach Zwischenüberschrift „Herausforderungen: Margendruck und Technisierung“.
[2] Quelle: Info Chart The Investment Association, Dez. 2017: “Asset Management in the UK”.
[3] Quelle: CFA-Pressemeldung, 21. März 2018: ”Latest CFA Institute Brexit Barometer”, 3. Absatz.
[4] Quelle: Beitrag auf FondsTrends, 25. Feb. 2019: „Das Vereinigte Königreich und Luxemburg nach dem BREXIT“.
[5] Quelle: White paper The Investment Association, Juni 2018: “Beyond Brexit”, S. 24.
[6] Quelle: Meldung Pensions & Investments, 14. Feb. 2019: ʺUK investors will lose EU market access in no-deal Brexit”.
[7] Quelle: CFA-Pressemeldung, 21. März 2018: ”Latest CFA Institute Brexit Barometer”, 5. Absatz.
[8] Quelle: White paper The Investment Association, Juni 2018:  “Beyond Brexit”, S. 26.
[9] Quelle: Reuters Business Report, 6. Feb. 2019: “Brexit and the City”.
[10] Quelle: Financial News, 25. Feb. 2019: “Banks tempt London staff to EU with Brexit sweeteners”.
[11] Quelle: Financial Times, 16. Juni 2018: “Brexit contingencies: asset managers put plans into action”.
[12] Quelle: Reuters, 31. Jan. 2019: “Irish Central Bank clears over half of Brexit applications”.

12. März 2019

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Autor

Hagen Gerle

Hagen Gerle ist Spezialist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen aus der Finanzbranche. Der gelernte Tageszeitungsredakteur und ehemalige Kommunikationsmanager von Fidelity Investments berät seit 1994 vorrangig ausländische Fondsgesellschaften, die seit kurzem im deutschen Markt tätig sind oder ihren Markteintritt dort noch planen.
2002 gründete er sein eigenes Beratungsunternehmen in Frankfurt/Main. Gerle Financial Communications bietet Kunden strategische Beratung, Medienarbeit, Investment writing und die Erstellung von Unternehmenspublikationen. 2011 siedelte Hagen Gerle mit Familie und Geschäft in den Südwesten Englands um, von wo er Finanzunternehmen in verschiedenen Ländern betreut.

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