„Am liebsten ist es mir, wenn noch die ganze Welt erschlossen werden kann“

In den Beiträgen und Interviews der letzten Wochen wurde immer wieder deutlich, wie grundlegend die Folgen der Corona-Pandemie für die Finanzindustrie im Allgemeinen und Vermögensverwalter im Speziellen waren – von Resignation dennoch keine Spur. Vielmehr ist das Thema Resilienz auch für Dirk Stöwer, Geschäftsführer von Kontor Stöwer und Initiator des FONDSKONGRESS TRIER, angesagt. Wie er die Krise erlebt hat, welche Folgen sie für Value-Investing und Vertriebs-Events hat und welche Konsequenzen noch zu erwarten sind, erzählt er im Exklusiv-Interview mit FondsTrends.

 

FondsTrends: Herr Stöwer, auf eine erste Markterholung nach dem Crash vom 20. Februar dieses Jahres folgte im Juni nun erneut ein herber Dämpfer an den amerikanischen Märkten. Wie haben Sie als Vermögensverwalter die Corona-Krise bisher erlebt?

Dirk Stöwer: Zunächst haben wir uns sehr intensiv mit dem Virus beschäftigt und waren zu der Einschätzung gelangt, dass Corona-Viren einen stark saisonalen Verlauf haben. Bislang zeigten bekannte Coronaviren eine deutliche Präferenz zwischen Dezember und April und waren im Sommer nicht nachweisbar. Zudem wiesen die RKI-Zahlen der akuten Atemwegserkrankungen bis zum Lockdown keinerlei negative Auffälligkeiten im Vergleich zu den Vorjahren auf. Sogar das Gegenteil war der Fall, sie waren niedriger mit fallender Tendenz. Auch gab es erste belastbare Studien, wonach die Mortalität dieses neuen Virus‘ eher der einer mittleren bis schweren Grippe entsprechen würde und nicht der hohen Todesrate der „Geschwister“ MERS oder SARS. Mit anderen Worten, der Lockdown hat uns auf dem falschen Fuß erwischt, da wir gegenüber starken Einschränkungen der Reisetätigkeit eine gewisse Anfälligkeit hatten. Das lag an den Engagements im Luxusgütersegment. Hinzu kam die Schließung von Einzelhandelsgeschäften. Das gab es in dieser Form noch nie und hat uns in Q1 eine unangenehme Underperformance beschert. Insgesamt natürlich eine recht düstere Zeit.

FondsTrends: Aktive Manager konnten sich naturgemäß besser auf die Krisenmomente einstellen als passive, Sie haben für Ihren NESTOR Europa Fonds selbst Umschichtungen vorgenommen. Welche Sektoren waren hier maßgeblich und weshalb?

Dirk Stöwer: Da wir ziemlich sicher waren, dass die Infektionszahlen im April und Mai spürbar sinken werden, haben wir beherzt bei Titeln zugegriffen, die noch deutlich stärker gefallen waren als andere Aktien im NESTOR Europa Fonds. Dazu gehören insbesondere Infrastrukturunternehmen wie der dänische Fährkonzern DFDS oder die spanischen Titel Aena (Flughäfen) oder Amadeus IT (Reisebuchungen). Verkauft wurden dagegen auf hohem Niveau defensive Titel wie die Glashersteller Vidrala und Vetropack oder die finnische Brauerei Olvi. Somit konnte der NESTOR Europa Fonds wieder sehr kräftig zulegen und die unterdurchschnittliche Performance aus Q1 mehr als egalisieren.

FondsTrends: Sie verfolgen für Ihre Vermögensverwaltung einen klassischen Value-Ansatz. Besonders im Vergleich mit Wachstumsaktien gibt es immer wieder Kritik an der Performance des Ansatzes, die sich durch die Corona-Krise nochmals verschärft hat. Ist Value-Investing nun endgültig an seine Grenzen gestoßen?

Dirk Stöwer: Die zukünftige Wachstumsrate ist der maßgebliche Faktor bei der Unternehmensbewertung. Also muss ein Unternehmen attraktive Perspektiven haben. Ist das nicht der Fall, nützt einem eine vermeintlich günstige Bewertung wenig bis nichts. Ich denke, eine preiswerte Kiste mit faulen Äpfeln hilft einem nicht wirklich weiter. Insofern habe ich viele unterschiedliche Reifegrade im Portfolio. Am liebsten ist es mir, wenn noch die ganze Welt erschlossen werden kann, dann zahle ich gerne etwas mehr, wie z.B. bei dem auf Hörgeräte spezialisierten italienischen Gesundheitsdienstleister Amplifon. In Crashsituationen gibt es dann auch stetige oder reife Firmen zum richtigen Schnäppchenpreis, das ist dann der klassische Value-Ansatz „fünfzig Cent für den Euro“. Also alles zu seiner Zeit. Aber die großen Wachstumsaktien mit Quasi-Monopolstellung haben natürlich bei einem Kapitalmarktzins von null rechnerisch einen enormen Unternehmenswert, da können die klassischen Value-Branchen nicht mithalten. Zudem investieren viele „Value-Investoren“ in der Hochkonjunktur in Zykliker, weil diese „günstig“ erscheinen. Ein fataler Fahler, der spätestens auffliegt, wenn der Abschwung kommt. Das hat mit „Value-Investing“ wenig zu tun. Für den defensiven Investor hat „Value“ aber aufgrund des attraktiven Chance-/Risikoverhältnisses weiterhin seine Daseinsberechtigung.

FondsTrends: Ende Oktober jährt sich der FONDSKONGRESS TRIER zum sechsten Mal, Corona dürfte hier ebenfalls das bestimmende Thema werden. Auch im Finanzvertrieb wurden nun vermehrt und mit Nachdruck Schritte hin zu mehr Digitalisierung unternommen – werden sich diese Schritte auch beim Fondskongress bemerkbar machen? Welche Änderungen sind Ihrer Meinung nach ‚here to stay‘?

Dirk Stöwer: Am Ende des Jahres gibt es immer ein Thema, das die Teilnehmer nicht mehr hören können, sei es MiFID, Brexit oder nun Corona. Deshalb habe ich es bislang immer vermieden, solche Sachen auch noch auf dem FONDSKONGRESS TRIER „durchzunudeln“. Wir sollten uns weder gesellschaftlich spalten noch sozial isolieren lassen. Das Immunsystem muss trainiert werden; dazu gehören Bewegung, gesunde Ernährung, Lebensfreude und tatsächlich auch der Kontakt mit anderen Menschen. Allerdings bringt die Digitalisierung auch sinnvolle Fortschritte, die die Produktivität sehr erhöhen. So habe ich an den Video-Konferenzen der Börsen Mailand und Madrid teilgenommen, da ging es an drei Tagen stündlich zwischen Spanien und Italien hin und her. Das spart Zeit und Reisekosten. Trotzdem fehlten mir der persönliche Austausch mit anderen Teilnehmern, das Aufschnappen von Ideen oder die Stimmung in den Ländern. Auch der FONDSKONGRES TRIER ist letztendlich eine Art „Kontaktbörse“, da macht ein reines Videoformat keinen Sinn, könnte aber sicher als Ergänzung angedacht werden.

FondsTrends: Eine letzte, persönliche Frage: War das Home-Office für Sie eine abrupte Umstellung? Wie haben Sie es, auch in Bezug auf Unternehmens- und Mitarbeiterführung, bisher erlebt? 

Dirk Stöwer: Home-Office habe ich in den Anfangszeiten bereits vor über zehn Jahren gemacht, das ist bei uns ohnehin gang und gäbe. In der Corona-Zeit war es im Bereich Fondsmanagement auch nicht erforderlich, da wir im Posthof Trier Einzelbüros haben. Auch in der Vermögensverwaltung lief es aufgrund flexibler Arbeits- und Präsenzzeiten reibungslos. In größeren Unternehmen stelle ich mir die Mitarbeiterführung in solchen Situationen aber als anspruchsvoll vor.

FondsTrends: Herr Stöwer, wir danken Ihnen für das interessante Interview und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute!

 

22. Juni 2020


Bereits zum sechsten Mal findet am 29. Oktober 2020 der FONDSKONGRESS TRIER statt und verspricht für alle Teilnehmenden ein abwechlungsreiches und hochwertiges Vortragsprogramm. Hier geht es zu Anmeldung und Agenda.

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Dirk Stöwer

Dirk Stöwer ist seit Juni 2005 Fondsmanager des NESTOR Europa Fonds. Der Sparkassenbetriebswirt ist seit mehr als 25 Jahren im Wertpapiergeschäft und in der Vermögensverwaltung tätig. Er begann seine Karriere im Bankgeschäft 1985. Ab 1991 betreute er im Börsencentrum der Stadtsparkasse Cuxhaven vermögende Privatkunden und managte später das Eigendepot der Sparkasse (Depot-A). Bei MM Warburg in Luxemburg wurde er später Prokurist im Bereich Privatkundengeschäft. 2007 trat Stöwer in die Kohlhase & Stöwer Asset Management GmbH in München ein, die seit Juni 2014 unter der Bezeichnung KONTOR STÖWER Asset Management GmbH mit Sitz in Trier firmiert.

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